Samstag, April 20 2024

Im Verein „Kulturerbe Kirchenburgen e.V.“ traf Ingrid Fillinger auf Gleichgesinnte, die sich aktiv für den Erhalt und die Bewahrung der Kulturdenkmäler in Siebenbürgen einsetzen. Die Stellvertretende Vorsitzende des Vereins besuchte im vergangenen Sommer gemeinsam mit dem Vorsitzenden Alexander Kloos in Dobring, nach eigenen Worten, „ein Sorgenkind im ruinösen Zustand, bei dem mindestens Sicherungsarbeiten äußerst dringlich sind“. Die alte Kirchenburg habe sie „tief und nachhaltig beeindruckt, doch auch ermutigt, über ihre prekäre Lage zu schreiben“. Lesen Sie im Folgenden Fillingers packende Reportage.
„Wir sind da“. Alex Stimme zerschneidet gerade meinen Gedankenvorhang, in den ich mich während der Fahrt eingerollt hatte. Neugierig blicke ich auf die Anzeige neben dem Echolot. Die Temperatur an der Oberfläche beträgt jetzt knapp 32 Grad Celsius. Während ich nach dem Strahler greife, überprüft Alex ein letztes Mal alle Dichtringe an seiner Kamera. Als er fertig ist, wird mir bewusst, dass wir uns ab sofort nur noch mit Handzeichen verständigen können. „Los, lass uns jetzt mal untergehen“, ruft er mir scherzend zu.

Die Geräuschkulisse der Außenwelt verstummt langsam, bis in meinen Ohren nur noch gleichmäßig dumpf meine eigene Aufregung pulsiert. Die Sicht ist erstaunlich klar, so dass es mir leichtfällt, dicht hinter ihm zu bleiben und mit ihm in die vergessene Welt einzutauchen.

Als wir uns den Gitterstäben des Eisentors nähern, sehe ich Alex Handzeichen mimen. Seine Fäuste sind mit ausgestreckten Zeigefingern hintereinander angeordnet, um mir mitzuteilen, an dieser Engstelle müsse ich ihm hindurch folgen. Hinter der dicken Mauer befinden wir uns im Burghof vor der steinernen Wehrhaftigkeit, an der nicht allein die Zeit ihre Raubzüge vollzogen hat. Alex visiert entlang des Kirchenschiffs den offenen Eingang an, während ich kurz zurückbleibe. Am nassen, dunklen Grab dieses massiven Bauwerks explodieren die Emotionen in alle Richtungen, angefangen von Ehrfurcht und Wertschätzung bis hin zu Trauer und Wut.

Im Leib des Kirchenschiffs angekommen, schalte ich den Strahler auf seine höchste Stufe, die alles in ein gespenstisches Leuchten versetzt. Voller Entsetzen nehme ich das Bild wahr, das sich peu à peu der Dunkelheit entblößt, wenn mein Lichtkegel es einfängt. Die zerfledderten Gewölberippen des Chors lassen den Raum wie die ausgeweidete Hülle eines einst so stolzen, großen Wesens erscheinen, das schwierige Jahrhunderte überlebt hat, bis eine gefräßige Meute es zurückgelassen vorfand. Diese fiel unerbittlich so lange über es her, bis es besiegt zu Boden sank.

Deshalb hoffe ich, dass mein Lichtstrahl, während er sich durch die Leere schraubt, auf einen winzigen, intakten Gegenstand trifft, den die Meute übersehen hat. Doch hinter jedem Stück Dunkelheit hält sich wieder nur der kulturleere Raum versteckt. Jetzt wird auch mir bewusst, dass alles unwiederbringlich verloren ist. Hier ist nichts mehr von geschichtlicher Bedeutung aus jener Zeit zu finden, als diese Raumdecke sich wie eine schützende Hand über den mit bemalten Tafeln verzierten Altar beugte. Neben dem Altar schmückte in gleicher Weise das Chorgestühl diesen Teil der Stätte. Dem Chor, als Mittelpunkt des Gotteshauses, schenkten die Gläubigen ihre meiste Wertschätzung, übten sich im Gebet und Gesang. Während der Liturgie hatte auch die Kanzel eine bedeutende Rolle. Doch was die Kulturvernichter von ihr übrigließen, liegt hier, wie ein abgebrochener Zahn eines Seeungeheuers, darbend am Boden.

Ich verringere meinen Abstand zu Alex, der einen Vollkreis mimt. Folglich drehe ich mich mit meinem Equipment behäbig um und beginne die Westseite des Kirchenschiffs zu erhellen. Diesen Teil des Saales umrandete einst eine U-förmige, hölzerne Empore. Eine Treppe führte in das Obergeschoss, wo eine schöne Orgel, im Blau- und Grünton der Empore, ihren stolzen Platz hatte. Weiteres sakrales Inventar sowie Möbel, die ebenfalls in Muster und Farbton mit jenen der Empore harmonierten, befanden sich im Erdgeschoss, das mit einem Holzboden ausgestattet war. Auf diesem waren zahlreiche Bänke räumlich angeordnet, die erahnen lassen, dass dieses Gotteshaus einst gut besucht war. All diese alten Kostbarkeiten, die sich in Bares umwandeln ließen, sind inzwischen spurlos verschwunden. Ungemein surreal wirkt der geschändete Saal, dessen Holzboden aufgerissen, entfernt und wahrscheinlich verfeuert wurde. Die Fläche gleicht einem Graben, in den herausgebrochene Mauerteile und zerschlagene Wand- und Treppenstücke versenkt wurden. Aus Furcht, ich könnte dem Raum noch mehr Schmerz zufügen, lasse ich das Licht nur zaghaft über die offenen Wunden gleiten, die Fenstern, Türen und Empore hinterließen, als sie gewaltsam aus dem Fleisch der Wände herausgerissen wurden. Eine solche Kulturrodung ist mir in dieser Form bislang fremd gewesen.

Plötzlich ist Alex verschwunden, der bis jetzt in meiner Nähe alles gründlich mit seiner Kamera festgehalten hatte. Aus einer seitlichen Nische zucken schwache Blitzlichter. Hier finde ich Alex wieder, der auf ein Loch in der Mauer deutet. Dieses ist groß genug für einen schmächtigen Menschen, damit er hindurch in den Hohlraum passt. Scheinbar haben die Eindringlinge das massive Gemäuer nach verborgenen Schätzen durchsucht. Dafür sprechen auch weitere Löcher im Saal, die absichtlich in das Baudenkmal geschlagen wurden.

Mein Handzeichen mit kreisenden Zeigefingern versteht Alex sofort richtig, so dass ich den Platz mit ihm tausche, als er mit Fotografieren fertig ist. Viel Bewegungsfreiheit bietet die Nische nicht, so schaffe ich es gerade noch, mich samt dem Strahler bis auf Bauchhöhe in das Loch zu dehnen, um das Innere zu erforschen.

Hinter der Dunkelheit liegt ein leerer Raum versteckt, der an zwei Mauern grenzt, die parallel verlaufen, mit ca. einem Meter Abstand voneinander. Als ich seine Tiefe ausleuchten will, bemerke ich, dass ich oberhalb des Bleigurtes an der kalten Mauer hin und her scheuere. Sofort schwingt sich, wie der milchige Rauchschweif einer ausgeblasenen Kerze, Sediment empor. Das Tageslicht blendet mich, dennoch erkenne ich die hohe Decke meines Pensionszimmers. Ich muss wohl im Sessel vor Erschöpfung eingeschlafen sein. Vage erinnere ich mich noch an den letzten Vers der Inschrift, die am Kirchengewölbe wegzubrechen droht: „1631 Am verfallenen Gewölbe verbessert / 1741 Zur Verherrlichung der Ehre Gottes erneuert worden.“ Sofort springe ich auf, klopfe erst oberhalb des Gürtels alle hellen Mauerreste aus meinem Shirt, dann rufe ich Alex an. Ich bin gespannt, ob heute die Fotos in Dobring gut geworden sind. Die Welt sollte erfahren, dass sie noch steht – draußen, auf der Anhöhe, verlassen …

Ingrid Fillinger

Artikel in der „Siebenbürgische Zeitung“ vom 17.02.2019 »Die versunkene Kirchenburg: Reportage über einen eindrucksreichen Besuch in Dobring«

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