Donnerstag, März 28 2024

Nachdem die ersten beiden Online-Fachvorträge des Jahres Die Fresken in der evangelischen Kirche in Schmiegen (Şmig/Somogyon) sowie 3D Visualisierung, Panorama-Anwendungen, interaktive AR- und VR-Anwendungen für historische Bauwerke, unter den Mitgliedern und Freunden des Vereins Kulturerbe Kirchenburgen e. V. einen großen Zuspruch erfahren hatten, ging es im Mai in die dritte Runde.

Dieses Mal galt die Aufmerksamkeit dem Thema Ganzheitliche Untersuchungen zum Erhalt historischer Bauwerke. Hierzu hatte der Vorstand mit Dipl. Ing. Gregor Stolarski, seines Zeichens Senior Engineer und Sachverständiger für historische Bauten der LGA Bautechnik in Nürnberg, einen hochkarätigen Referenten eingeladen.

Gregor Stolarski – der Mann für besonders gefährdete Kulturgüter

Gregor Stolarski bezeichnet sich selbst gerne als Mann für die hoffnungslosen Fälle. Seine Expertise ist national als auch international besonders dann gefragt, wenn bei der Denkmalpflege die Meldung eines stark gefährdeten Objekts eingeht. Da der Abriss eines historischen Gebäudes für den 2016 für eine Brückensanierung mit dem Bayerischen Denkmalpreis ausgezeichneten Bauingenieur keine Option ist, nimmt er gerne diese Herausforderungen an. Bauwerke stellen generell vielschichtige, interdisziplinäre Projekte dar. Hat man es zudem mit einer Jahrhunderte alten Konstruktion zu tun, nimmt die Komplexität durch die historische Komponente erheblich zu. Umso mehr gilt es bei einem Bauwerk mit Schwächen, dessen Stärken zu ermitteln und diese in einem fundierten Restaurierungskonzept umzusetzen.

Dass dabei den ganzheitlichen, fachübergreifenden Untersuchungen eine tragende Schlüsselrolle zukommt, konnte Gregor Stolarski in seiner knapp einstündigen Präsentation eindrucksvoll unter Beweis stellen. Über 30 Online-Zuschauer folgten aufmerksam dem Exkurs in die spannende Welt der Bauforschung mitsamt den damit verbundenen Aufgaben- und Problemstellungen.

Ganzheitliche Untersuchungen – das A und O bei historischen Bauwerken

Zu den wichtigsten Aspekten der Untersuchung eines historischen Gebäudes gehören nicht nur Probennahmen und praktische Analysen, sondern auch intensive Vorab- und Hintergrundrecherchen. Diese fangen bei der Historie und Nutzung des Bauwerks an, erstrecken sich über die grundsätzliche Konstruktion einschließlich der Statik und nehmen die Baumaterialien hinsichtlich Herkunft, Qualität als auch Alter genauestens unter die Lupe. Die historische Relevanz sowie das Vorhandensein von Schadstoffen dürfen hierbei genauso wenig außer Acht gelassen werden wie die Historie vorangegangener Sanierungen.

Diplom Ingenieur Gregor Stolarski bei der Arbeit an den Fundamenten des Doms von Eichstätt
Gregor Stolarski bei der Arbeit an den Fundamenten des Doms von Eichstätt

Ist bei einem Restaurierungsprojekt der Baugrund miteinzubeziehen, gestalten sich die Untersuchungen noch aufwendiger, umfangreicher und vielschichtiger. Neben der Bauphysik, die sich u. a. mit den raumklimatischen Sachverhalten auseinandersetzt, muss eine detaillierte Aufnahme der geologischen Gegebenheiten erfolgen. Nur so kann sichergestellt werden, dass alle Risikofaktoren erfasst sind, um anschließend eine aussagekräftige Beurteilung zum Erhalt eines historischen Bauwerks zu treffen.

Gregor Stolarski nimmt alle begutachtenden Eingriffe an einem historischen Objekt ausschließlich zerstörungsfrei vor. Dazu müssen selbst Kleinbohrungen oder endoskopische Untersuchungen von nur 20 -30 Millimetern Durchmesser wohl überlegt sein. Jede Bohrung stellt eine einmalige Chance dar. Deshalb gilt es aus diesem „one shot“ so viel Erkenntnisse wie möglich mitzunehmen und akribisch zu dokumentieren, damit auch die weiteren, am Projekt beteiligten Fakultäten mit den für sie notwendigen Informationen bedient werden können.

Doch was für den Bauingenieur und Restaurator zum Tagesgeschäft gehört, ist für den Laien einfach nur verblüffend. Wer hätte gedacht, dass sich anhand eines daumengroßen Bohrlochs sowohl Aussagen zur Gebäudebeschaffenheit als auch zu den Eigenschaften des Fundaments oder der Zusammensetzung des Untergrunds treffen lassen?

Einem Bauwerk sollte man die Interventionen niemals ansehen

Generell nimmt das Aufdecken von Problembereichen einen Großteil der Arbeit in Anspruch. Steht zum Beispiel die Festigkeit eines Mauerwerks infrage, erfordern alle Komponenten eine eingehende Betrachtung. Nicht nur die Steine selbst, sondern auch die Gefügequalität inklusive Fugenschnitt und Mörtel spielen eine große Rolle. Da muss der Fachmann schon mal zum Mikroskop greifen. Selbstverständlich schließt sich jeder Analyse ein adäquates Lösungskonzept an. Dazu lässt sich der Leitsatz des minimal-invasiven und stets denkmalgerechten Eingriffs mit dem Ziel, den größtmöglichen Effekt für den Erhalt eines Bauwerks zu leisten, ohne Weiteres auf die Restaurierungsarbeiten übertragen. „Einem Bauwerk sollte man die Interventionen niemals ansehen“, so Gregor Stolarski. 

Zahlreiche historische Bauwerke verdanken den ganzheitlichen Untersuchungen des Diplomingenieurs ihren zweiten Lebensabschnitt. Objekte, die akut gefährdet waren, stehen heute noch. Und sie stehen fest. Als Beispiele seien nur die Maxbrücke in Nürnberg aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, die 700 Jahre alte, gotische St. Laurentius Pfarrkirche im unterfränkischen Altenbanz oder der im Zweiten Weltkrieg ausgebrannte Kirchturm der Nikolaikirche in Anklam genannt.

Stari Most – der Wiederaufbau eines UNESCO-Kulturerbes

Zum krönenden Abschluss seiner Präsentation berichtete der Restaurierungsfachmann vom herausforderndsten Projekt seiner 35-jährigen Berufskarriere, dem Wiederaufbau der Bogenbrücke Stari Most, Wahrzeichen der Stadt Mostar in Bosnien-Herzegowina. Das architektonische Meisterwerk aus der Mitte des 16. Jahrhunderts wurde 1993 im Bosnienkrieg vollkommen zerstört.

Aufgabe eines internationalen Expertenteams war es, die Brücke eins zu eins wiederherzustellen, wobei die UNESCO-Vorgabe nicht nur Aussehen und Maße mit einer (irrealistisch) vorgegebenen Geometrietoleranz in Millimetergrößenordnung sondern auch das Baumaterial und die Technik einschloss.

ganzheitliche Untersuchungen an der zerstoerten Bruecke Stari Most in Mostar
Expertenteam bei der Untersuchung der zerstörten Brücke Stari Most in Mostar;
© Gregor Stolarski

Die besondere Schwierigkeit der Aufgabenstellung lag eingangs in der Fragestellung, wie das Bauwerk mit einer lichten Weite von über 28 Metern früher funktionierte. Original-Baupläne waren keine vorhanden. Deshalb kam den komplexen Voruntersuchungen eine enorme Bedeutung zu. Alle Details der ausgeklügelten Konstruktion mussten anhand des verbliebenen Materialbestandes eingehend studiert und umfangreich dokumentiert werden. Dabei kam manch überraschende Erkenntnis über die vor 500 Jahren angewandte, raffinierte Technik ans Tageslicht.

Erst nachdem alle Laboranalysen ausgewertet, Belastungsproben durchgeführt, Statik- und Materialtests abgeschlossen waren, begann man mit dem eigentlichen Wiederaufbau. 2004 war es geschafft, die Einweihung der neuen „Alten Brücke“ konnte gefeiert werden. Ein Jahr später erhielt Stari Most wieder den Status einer Welterbestätte. Somit hatte Gregor Stolarski durch seine Kompetenz und seinen Erfahrungsschatz in Sachen Baustoffkunde, Bauchemie, Bautechnik und Bauanalyse einen maßgeblichen Beitrag zur weltweit erstmaligen Wiederherstellung eines zerstörten UNESCO-Weltkulturerbes geleistet.

restaurierte Bruecke Stari Most in Mostar
UNESCO-Weltkulturerbe – die restaurierte Brücke Stari Most in Mostar; © Gregor Stolarski

Wissens- und Erfahrungstransfer als Schlüsselelemente für den Erhalt der Kirchenburgen

Im Anschluss an den fesselnden Vortrag, für den Gregor Stolarski viel Beifall erntete, entspann sich unter den Teilnehmern eine lebhafte Diskussionsrunde zur Übertragbarkeit der Untersuchungsmethoden, Erkenntnisse und Maßnahmen auf die siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen. Eine beträchtliche Anzahl der über ein halbes Jahrtausend alten Anlagen befindet sich in einem kritischen Zustand. Doch müssen diese Bauwerke in Not grundsätzlich nicht abgeschrieben werden, sofern alle verfügbaren technischen Möglichkeiten zur Konservierung genutzt werden.

Allerdings stehen diesem Vorhaben zwei limitierende Faktoren im Wege. Einerseits die begrenzten finanziellen Mittel und andererseits die mangelnden Fachkenntnisse im Bereich historischer Sanierungen. Um hier langfristig entscheidende Fortschritte zu erzielen, bedarf es eines umfassenden Wissens- und vor allen Dingen auch Erfahrungstransfers spezialisierter deutscher Restauratoren nach Rumänien.

Erfahrung war dann auch das entscheidende Stichwort, mit dem Alexander Kloos den Referenten um eine kurze Einschätzung zum Zustand der sächsischen Wehrkirche in Dobring bat. Die mächtige Kirchenburg von Dobring ist wie auch die Kirche in Schmiegen eine Langzeitmaßnahme des Vereins Kulturerbe Kirchenburgen e. V., die abgesehen von umfassenden Restaurierungsmaßnahmen auch die Integration des Dorfes in das Projekt und ein zukünftiges Nutzungskonzept beinhaltet.

Neben anderen schon länger bestehenden Bauschäden trennt sich seit Kurzem ein Strebepfeiler vom Mauerwerk an der Nordseite. Für Gregor Stolarski ein durchaus massives Problem, das eine Notintervention unumgänglich macht – idealerweise verbunden mit Präventivmaßnahmen für die weiteren Stützpfeiler.

Systematische Zustandserfassung der Kirchenburgen – ein aktuelles Projekt des Vereins Kulturerbe Kirchenburgen

Eine wertvolle Anregung zum Sorgenkind Dobring brachte Diplom-Restaurator Sven Taubert, Präsident des Verbandes der Restauratoren, in den Meinungsaustausch ein. Um einen besseren Überblick über alle Bauschäden in Dobring zu erhalten, schlug er vor, diese zunächst nach Typ, Umfang, Ursache und Material (Stein, Mörtel, Holz, Glas etc.) zu sortieren und katalogisieren, um im Anschluss eine sinnvolle Priorisierung hinsichtlich der Dringlichkeit vorzunehmen.

Diese Empfehlung geht Hand in Hand mit einem ganz aktuellen Vereinsprojekt, bei dem es um die systematisierte Erfassung des bautechnischen und restauratorischen Zustands der Wehrkirchen Siebenbürgens in einer Datenbank geht. Anhand einer detaillierten Checkliste, die in Kürze in vier Sprachen (DE – RO- ENG- HU) zur Verfügung steht, soll sukzessive ein differenzierter Status quo des Bauzustands aller siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen in Wort und Bild dokumentiert und anschließend in eine Software für Baudokumentation und -management übertragen werden. Ziel ist es, eine bis dato einmalige Datenbank anzulegen, die es nicht nur erlaubt, Priorisierungen hinsichtlich erforderlicher Interventionen festzulegen, sondern diese auch zu konsolidieren und damit finanzielle und ressourcentechnische Synergien zu schaffen.

Um der Kirchenburg in Dobring nicht nur die dringlichsten Erste-Hilfe-Maßnahmen zukommen zu lassen, sondern ein umfassendes Restaurierungskonzept auf die Beine zu stellen, benötigt der Verein Kulturerbe Kirchenburgen e.V. Ihre Mithilfe und Unterstützung. Jede Spende ist herzlich willkommen


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